09.11.2022
Zum dritten Mal hat die Vernetzte Ökumene Wien ihr alljährliches Pogrom-Gedenken in der Pfarre Franz von Sales und zum zweiten Mal in der Krim-Kirche (dem Ursprung der „Vernetzung“) begangen. An diesem Abend gedenken die christlichen Konfessionen des November-Pogroms 1938, vor demnächst 85 Jahren. Vom damaligen NS-Regime zynischerweise als „Reichskristallnacht“ bezeichnet, weil im gesamten NS-Einflussbereich die Synagogen zerstört wurden - „Kristall“ stand für das dabei tausendfach zersplitterte Glas... Diese Nacht war auch der Beginn der proklamierten „totalen Juden-Ausrottung“: der Demütigungen, Gewaltexzesse, Gefangennahmen, Deportationen in die KZs und meist dortige Ermordungen...
Im Vorjahr war das Thema des Vernetzten Pogrom-Gedenkens, bezogen auf den Veranstaltungsort in der Kirche von Glanzing „Christlich-jüdische Erinnerungen zwischen Krottenbach und Kaasgraben“. Mit Hilfe der jüdischen Historikerin und DAVID-Redakteurin Tina Walzer wurden für jede dieser drei Sales-Gemeinden jüdische Menschen vorgestellt, die vor dem Novemberpogrom 1938 hier, in unmittelbarer Nachbarschaft der Gemeindemitglieder, gelebt haben, Großartiges geleistet haben (als Künstler, Architekten, Unternehmer oder einfach als Nachbarn) - und scheinbar plötzlich verschwunden sind: geflüchtet, festgenommen und deportiert, oder vor der drohenden NS-Verfolgung Selbstmord begangen haben...
Diesmal wollten die Veranstalter an die jungen Menschen erinnern, denen ihre Jugend geraubt wurde, die aus den Schulen, in die später unsere eigenen Kinder gegangen sind, ausgesperrt wurden, die sich in Schulnähe als Nicht-Juden ausweisen sollten und, wenn sie dies nicht konnten, inhaftiert wurden, oder die, sofern ihnen die Flucht aus der Haft gelang, bis nach Übersee in die Emigration gingen...
Oskar Kostelnik, Mitglied des Mauthausen-Komites, Forscher zum Judentum und Herausgeber des Buches „Jüdische Spuren in Wien“ fand für die ökumenische Gedenkstunde in der Krim das persönliche Zeugnis eines solchen damaligen Schülers des BG XIX, Reinhold Eckfeld, das genau am Tag des diesjährigen Pogrom-Gedenkens, am 9.11.1939, in einem australischen Internierungslager geschrieben wurde. Kostelnik hat den Text in allen erschreckenden Einzelheiten, oft mit brüchiger Stimme, im Originalton verlesen. Der Text wurde vom heutigen Geschichte-Lehrer des
BG XIX Martin Krist (Jg. 1961) in einem (vergriffenen) Buch herausgegeben (Echoverlag).
Nach einem dreimaligen von der Gemeinde gesungenen „Magnificat anima mea“ und einer kurzen Einführung (Warum Pogromgedenken?) der Initiatorin Elisabeth Lutter erklang ein Paukenschlag, gefolgt von einer Trompete, die erschauern machte, danach die Überleitung zur Lesung des Eckfeld-Zeugnisses, nach dieser wieder der Paukenschlag und die „einsame“ Trompete. Danach lasen abwechselnd eine Frau und ein Mann, beides Jugendliche, eine berührende Neufassung (von Jörg Zink) des Psalms 126. Ein meditatives Gitarrespiel leitete über zum jüdischen Totengebet El mole Rachamim, vorgetragen von Elisabeth Lutter, mit dem Hinweis, dass das Singen dieses Totengedenkens im jüdischen Bereich nur einem Rabbiner zusteht.
Alle Teilnehmer*innen standen in Ehrfurcht vor den Holocaust-Opfern beim Totengebet und noch eine Zeitlang danach. Dann forderte der stv. Vorsitzende des FvS-Pfarrgemeinderates Alex Gotsmy dazu auf, nach jüdischem Brauch Steine (die vor Beginn der Gedenkstunde am Eingang verteilt worden waren) am Bild eines jüdischen Grabsteins abzulegen, Symbol des ewigen Gedenkens... Zum Abschluss sang die Gemeinde das „Shalom chavarim“, bevor alle still auseinander gingen.
Weitere Informationen bezüglich dieser Veranstaltung sind im Archiv zu finden!
Es waren über 50 Teilnehmer*innen anwesend.
Bericht: Elisabeth Lutter
Comments